Stadtradeln 2021 - Reisebericht 23. September 2021
Mit Seitenwind zum Candy Shop – Besuch bei Bruno Bierbaum
Es ist Donnerstag. In einer Woche wird beim STADTRADELN Bilanz gezogen.
Drei Termine stehen noch vor mir, mit denen ich weitere Kilometer sammeln kann. Bislang halte ich mich erfolgreich im unteren Mittelfeld.
Glücklicherweise bekomme ich auch von ein paar Firmen Unterstützung, die von Hittfeld aus nicht gerade fußläufig erreichbar sind. Die Idee mit den Schlangenlinien als Kilometer-Booster musste ich ja frühzeitig wieder verwerfen.
Zu den Firmen, die es gut mit mir meinen, zählt auch das Familienunternehmen Bruno Bierbaum, unser traditioneller Süßwarenhersteller und -großhändler aus Ramelsloh, der nicht nur in Hamburg bekannt ist für seinen „Original Hamburger Speck“, einen mehrfach prämierten Schaumzuckerwürfel. In Schausteller-Kreisen bedarf der Bonbon Baron wahrscheinlich keiner besonderen Erwähnung mehr. Dort ist man auch über die regelmäßigen Produktneuheiten bestens informiert, wie etwa die mit Nutella überzogene gebrannte Mandel oder den Marshmallow-Spieß.
Bei Besuchen im Gewerbegebiet Ramelsloh-Nord kommt mir regelmäßig Grönemeyers Textpassage „Tief im Süden...“ in den Sinn (finde den Fehler :-) ).
© Michael Mammes
Die Sonne verstaubt hier in Seevetal nicht. Vielmehr versteckt sich Helios heute hinter einem Regenvorhang. Es nieselt. Mal mehr, mal weniger. Ich packe schnell meine Regenjacke aus. Hoffentlich kann ich die Regenhose im Rucksack lassen.
Dass mir sowas aufs Gemüt schlägt, ist unschwer zu erkennen. Dabei hatte ich den Dreh doch endlich raus, dachte ich.
Vom Seevetaler Süden hört man nicht sonderlich viel. Viel weniger jedenfalls als aus den anderen Himmelsrichtungen. Vielleicht liegt das an der Entfernung, vielleicht an der Hauptwindrichtung. Vielleicht ist es aber auch eine gewisse Bescheidenheit. Trotz mancher Spezialität, die man etwa im Gewerbegebiet zwischen Bahngleisen und A7 findet.
Den heutigen Tag hatte ich für meinen Ausflug sehr bewusst gewählt. Jeden Donnerstag und Freitag ist bei Bruno Bierbaum nämlich zwischen 10 und 17 Uhr der Fabrikverkauf geöffnet. Candy Shop pur. Da werden Kindheitserinnerungen wach.
Und wenn das Ziel nur süß genug ist, fährt das Kind im Manne auch bei Sturm und Regen. Geplant habe ich meine Ankunft um spätestens 16 Uhr. Dann bleibt mir nach einem Gespräch noch Zeit zum Einkaufen.
Erneut fahre ich vom Rathaus in südliche Richtung die Friedhofstraße hoch und biege links in die Lindhorster Straße ein. Jetzt der Seitenwechsel auf den Fuß- und Radweg. Langsam habe ich Routine darin. Achtung Fußgänger.
Heute folge ich der Maschener Straße aber nach rechts, um dann wenig später, hinter der Autobahn, mit Schwung links einzubiegen. „In der Guten Zeit“. Hier lässt sich das Rad getrost 500 Meter rollen. Gut in der Zeit bin ich allemal.
In der Ringstraße geht es weiter bergabwärts. Das Radeln fällt mir heute ungewohnt leicht. Nur der Seitenwind stört den Seevetaler Stadtradler ein wenig. Würde der kräftige Wind von hinten wehen, könnte ich es gefühlt mit jedem Auto aufnehmen. Davon gibt es hier in Lindhorst gar nicht mal so viele. Was es hingegen gibt, ist ein Palmenverkauf.
Ich passiere den Dorfteich und fahre auf dem Horster Damm in die Landschaft hinaus. Den Sommerspeck kann man hier, zwischen den von Gräben und Bächen durchzogenen Feldern, getrost hinter sich lassen.
Es wartet Besseres. Und an Einfallsreichtum mangelt es Bruno Bierbaum gewiss nicht, wie ich schon im Vorfeld meines Besuchs gelesen habe. Passend zur Europameisterschaft gab es zum Beispiel Fußballer-Speck. So sieht der Seevetaler Beitrag zur Steigerung der Spielgeschwindigkeit aus. Unserer Nationalmannschaft hatte das offenbar wenig genutzt. Ich jedenfalls trete bei diesem Gedanken noch fester in die Pedalen.
Kurze Zeit später komme ich an der Horster Mühle aus und werfe einen kurzen Blick auf das Wasserrad. Ein schöner Ort zum Verweilen.
Weiter geht es entlang der Horster Landstraße, wo ich deutlich auf die Gefahren für unsere vierbeinigen Freunde hingewiesen werde. Hoffentlich stolpern auf dem Radweg nicht allzu viele Hirsche.
Nach weiteren 1,7 Kilometern nähere ich mich dem Ziel und biege in Bei den Kämpen ein.
Da bin ich. In unaufdringlicher Manier präsentiert sich die mit Waschbeton-Elementen versetzte Fassade der Produktions- und Lagerhalle von Bruno Bierbaum. Ein Zeugnis des damaligen Zeitgeistes. Vor mir, mit einer 47-jährigen Seevetaler Historie, eines unserer ältesten Unternehmen. Alles, was hier passiert, überspannt Generationen.
Wären nicht die zwei roten Werkstore und das große Werbeschild mit dem Aufzug „Süss-Shoppen“, blieben manchem Betrachter die dahinter liegenden Gaumenfreuden wohl verborgen.
© Michael MammesNicht jeder weiß, dass von hier aus Schausteller in Norddeutschland mit den leckersten Naschereien versorgt werden. Einmal abgesehen davon, dass in den vergangenen anderthalb Jahren ohnehin kaum an Volksfeste und Märkte zu denken war. Es ist kein Geheimnis, dass die Absage vom Hamburger DOM im Jahr 2020 das Ramelsloher Familienunternehmen hart traf. Aktuell gibt es neun Mitarbeiter. Diese Zahl war mal höher.
2013 titelte die WELT: „Für Verbraucher ist regional das neue Bio“. Ich habe das Gefühl, dass damit insbesondere die eine Seite der Regional-Medaille gemeint war, wo Obst und Gemüse, Fleisch und Milch dominieren und wo man mit Treibhausgasen argumentiert. Für ein ehrliches Wort über Süßwaren fragt man aber am besten Kinder. Für sie zählt eher der Farbwert als das CO2-Äquivalent. Wollten wir Regionalität weiterfassen, müssen wohl auch die Argumente der kleinen Lobby gehört werden. Das war in letzter Zeit ja nicht immer der Fall.
© Bruno Bierbaum KGVielleicht ist auch das einer der Gründe, weshalb mein Erstkontakt mit Christopher Bierbaum, der das Familienunternehmen zusammen mit seinen Eltern Antje und Manfred Bierbaum in die nächste Generation führt, bis zum Moment meiner Ankunft von einigen Unwägbarkeiten begleitet ist. Einen festen Termin hatten wir nicht vereinbart, sodass ich Herrn Bierbaum vor dem Tor einfach noch mal anrufe, um mich in Erinnerung zu bringen.
Er ist da. Und nur wenige Sekunden später werde ich freudig-überrascht empfangen. Die Sache mit dem STADTRADELN war kein Verwaltungs-Witz. Hier bin ich. Das ist mein Fahrrad.
Kurze Zeit später stehe ich zwischen Säcken mit Zucker und feiner Belgischer Schokolade. Viele namhafte Zulieferer. Billigsortiment gibt es hier offensichtlich nicht. Ganz im Gegenteil, Bruno Bierbaum setzt auf hochwertige Zutaten. Für die gebrannten Walnusskerne werden ausschließlich handgeknackte Nüsse eingekauft, die dann von Hand in einem Kupferkessel auf einer offenen Feuerstelle gebrannt werden.
© Bruno Bierbaum KGEin süßer Kirmes-Duft umhüllt mich und steckt noch Stunden später in meiner Kleidung. In den Regalen reihenweise Großpackungen mit bunten Süßigkeiten, dazwischen allerhand Verpackungsmaterial.
Etwa 150 verschiedenen Süßwarenartikel stammen aus eigener Produktion, weitere 450 Produkte werden zugekauft. Das gut gehütete Rezept für den Hamburger Speck hat Familie Bierbaum übrigens von einem echten Speckkocher aus Hamburg geerbt. Eine süße Tradition wird von hier aus in die Zukunft geführt.
Dass ihm seine Arbeit viel Spaß macht, glaube ich Herrn Bierbaum sofort. Könnte ich mir auch vorstellen, höre ich eine innere Stimme sagen. Auch zwei Tanten sind eingebunden. Die freundliche Dame an der Kasse, die mich später beim Einkauf berät, dürfte ähnlich denken. Ein echter Familienbetrieb, seit 1963.
Der gelernte Süßwarentechniker hilft an allen Stellen des Unternehmens mit. Auch die Webseite liegt in seiner Hand, auf die er zurecht stolz ist. Dahinter steckt viel Arbeit, jeden Tag und auch am Wochenende. Der Bonbon-baron.de ist zu einem Spiegelbild des Unternehmens geworden. Der Name geht übrigens auf ein Treffen mit einem Kumpel am Wochenende zurück. Wen die stilisierte Figur darstellt, habe ich Herrn Bierbaum leider nicht gefragt.
© Bruno Bierbaum KGKein Schimmer von Trübsal. Auf den Einbruch im letzten Jahr reagierte man kurzerhand mit der Wiedereröffnung des Fabrikverkaufs – jetzt noch bunter als früher (ein erster Laden wurde 2015 eingestellt). Viele Seevetaler und andere Besucher aus der Region dürften sich über diese Entscheidung sehr freuen.
Dolce Vita. Im Shop und sogar vor der Tür. Draußen am Parkplatz herrscht um halb fünf ein reges Kommen und Gehen. Über den parkenden Autos ragt der „Schnullerbaum“ empor. Kleinkinder können hier ihren geliebten Schnuller in die Obhut der Schnullerfee geben, die den Nuckel dann später an die alte Eiche hängt (Vielleicht bekommt sie dabei ein wenig Unterstützung). Von Traditionen hält man bei Bruno Bierbaum viel, auch, wenn sie aus Dänemark stammen.
Die Ladestation für E-Bikes neben dem Autoparkplatz macht aber ebenso deutlich, dass es hier vorwärts geht. Daher wird man auch Lösungen finden, wie mit den zuletzt stark angestiegenen Transport- und Rohstoffpreisen umzugehen ist.
Nach meinem Einkauf fahre ich wieder nach Norden, nehme aber einen kleinen Umweg über der Buchwedelweg, der mich auf die östliche Autobahnseite führt. Die Extra-Kilometer sind es wert, noch ein wenig länger gegen den Wind anzutreten. Schon auf dem Ohlendorfer Weg halte ich fest, dass das eine gute Wahl war. Obstbäume säumen den Weg. Freie Fahrt, vorbei an den Windrädern und dann sogar auf einer historischen Pflasterstraße – mit Sommerweg, für alle, denen es zu huckelig ist.
Am südlichen Ortsrand von Maschen-Heide angekommen, folge ich dem Ohlendorfer Weg nach Westen, überquere die Autobahn erneut und komme kurze Zeit später wieder an der Horster Mühle raus.
Den Rückweg kennen Sie nun ja schon. Ich möchte aber noch erwähnen, dass mir der zunehmende Seitenwind kurz vor Ankunft in Hittfeld beinahe einen Strich durch die Gute Zeit gemacht hätte.
Auf der Kirchstraße kommt mir dann sogar noch ein Kollege mit dem Fahrrad entgegen. Team „Radhaus“. Er meint es ernst.
Am Montag geht es erneut los.
Vielleicht sind Sie wieder dabei, wenn der Bericht online ist. Ich würde mich freuen.
Ihr
Michael Mammes